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Falko Hennig mit Claudia Jansen über Kirsten Klöckner, die auch dabei war 2012-04-02 – 19:12:03

FH: Ich kenne Dich ja so gut wie gar nicht, weiß eigentlich nur, dass Du irgendwie im Archiv arbeitest. Trifft das zu?

 

CJ: Ich arbeite im Kunstarchiv Beeskow.

 

FH: Und Du fährst mit einem Lada herum und kommst eigentlich aus Dortmund? Das stimmt alles?

 

CJ: Nein, aus Kelzenberg, lebe in Düsseldorf.

 

FH: Kelzenberg?

 

CJ: Ja, das ist nah an Düsseldorf. Ein kleines Örtchen mit 400 Einwohnern.

 

FH: Also ein Dorf.

 

CJ: Ja.

 

FH: Und du arbeitest in Beeskow im Kunstarchiv? Oder wie heißt das genau?

 

CJ: Das heißt mittlerweile Kunstarchiv Beeskow. Es hatte mal einen anderen Namen, Dokumentationszentrum Kunst der DDR, Burg Beeskow. Dort lagern ungefähr 23.000 Werke der Bildhauerei, Malerei und Grafik aus der ehemaligen DDR. Es wird verwaltet von den Ländern Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Was nach der Wende „übrig geblieben“ war und irgendwo hin musste, vor allem, was in öffentlichen Gebäuden gehangen hatte wurde zum Teil unter die Verwaltung der Treuhand gestellt und dann wurde viel darüber diskutiert was damit zu tun sei. Es war fraglich, ob diese Arbeiten überhaupt noch jemand haben wollte. Wer will sich damit beschäftigen? Oder kann das eigentlich alles weg? Dann haben die einzelnen Länder entschieden – Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – dass sie ihren Bestand selbst verwalten wollen und die drei anderen haben sich zusammengeschlossen. Da gab es diesen Speicher in Beeskow und dorthin wurden die Werke verbracht und werden da seitdem archiviert und ausgestellt. (weitere Informationen www.kunstarchiv-beeskow.de)

 

FH: Und was genau ist da deine Funktion? Bist du jeden Tag in Beeskow?

 

CJ: Nein, ich fahre im Schnitt einmal im Monat da hin. Sonst bin ich in Düsseldorf, da ich auch noch in der Galerie Rainer Klimczak in Viersen arbeite. Da habe ich auch Kirsten kennen gelernt.

 

FH: Aha! Die Viersen-Connection!

 

CJ: Genau. Ich schreibe meine Doktorarbeit über das Arbeiterbild in der Malerei der DDR. Ich hatte in Beeskow gefragt, ob ich diesbezüglich mal forschen kommen könnte, was ich auch gemacht habe. Währenddessen gab es diesen seltenen und glücklichen Zufall: Sie hatten gerade Geld für eine Stelle, fanden meine Arbeit gut und wunderbar passend und wollten mich beschäftigen.

 

FH: Kann man das zusammenfassen? Wie ist das Arbeiterbild in der DDR? Die Arbeiter waren ja die herrschende Klasse, wurde behauptet, in der Wirklichkeit herrschte ja eher die SED. Oder?

 

CJ: Ja, aber man kann das nicht so einfach auf einen Punkt bringen. So weit bin ich auch immer noch nicht mit meiner Einschätzung, es kommt ständig etwas Neues dazu. Da ich mich ja hauptsächlich um diesen Bestand in Beeskow kümmere, der tatsächlich ja eben Werke enthält, die irgendwo öffentlich hingen ist es vielleicht noch mal ein anderer Ausdruck, der sich da zeigt als wenn man sich Zufallsprodukte anguckt oder Arbeiten, die irgendwo noch im Museum hängen. Da gibt es noch mal einen anderen „Dreh“. Die Entwicklung besonders der Malerei in der DDR wird ja eher so beschrieben: die 50er und die Anfang 60er Jahre waren noch sehr geprägt von heroischen, überhöhten Arbeiterdarstellungen und alles war schön naturalistisch abgebildet, was sich ab Mitte der 60er und vor allem beginnenden 70er Jahre änderte. Aber so einfach ist das natürlich auch nicht. Wie überall gab es auch Nebenwege, eigene Bildfindungen und Stile, Künstler, die stur ihr Ding weitergemacht haben und es gab auch welche, die von Anfang an da (Arbeiterbild) gar nicht mitgemacht haben.

 

FH: Kann man nicht einfach sagen, dass es besser gewesen wäre, das alles wegzuwerfen? Es war doch alles scheußlich, was da 'rum hing in den öffentlichen Gebäuden.

 

CJ: Nein. Ich glaube – das bestätigen auch Zeitzeugen – dass tatsächlich vieles auf dem Müll gelandet ist. Also wenn man sich vorstellt, da saß jemand im Büro und hatte ständig so einen Honnecker-Kopp da hängen, ob er das gut fand oder nicht, hat er den in den Wende-Wirren vielleicht einfach weggeschmissen. Manche haben Sachen auch mit nach Hause genommen. Gerade, was Grafiken betrifft gab es auch die Möglichkeit, diese für - was weiß ich - 10 Mark zu kaufen, und die Arbeiten waren aus dem „Blickfeld“. Wenn man heute die Arbeiten nicht mehr nur als Zeitdokument auffassen möchte, was sie in gewisser Weise natürlich sind, sondern auch aus kunstwissenschaftlicher Perspektive – dann kann ich auch nicht so richtig sagen, das hätte weggeschmissen gehört. Diese Kunst an sich war ja nichts Böses und Schlechtes, und meine Aufgabe in Beeskow besteht unter anderem darin, zu schauen, ob es nicht wirklich Wechselwirkungen der Kunstrichtungen und Inhalte gab und wo sich diese im Bild festmachen lassen. In diesem Zusammenhang ist die Frage nach dem Auftrag, auf der ja in den letzten Jahren sehr 'rumgeritten wurde, nicht wichtig für die Bildaussage.

 

FH: Aber auf jeden Fall ist ja keine oppositionelle Kunst dabei, oder? CJ: Nein. Aber die Gegenfrage wäre jetzt auch: was ist oppositionelle Kunst? FH: Zum Beispiel wo Honecker oder die SED als lächerliche Figuren dargestellt würden.

 

CJ: In dem Fall nicht. Wobei – manchmal gibt es schon Sachen. Wenn man von der Bildaussage ausgeht, muss man sich manchmal fragen – wenn man dieser allgemeinen Vorstellung folgt, dass alles bis ins kleinste kontrolliert wurde und da überhaupt kein Witz und keine Ironie und nichts drin sein durfte – da muss man sich schon fragen, warum viele Sachen durchgegangen sind. Heute denkt man, das kann doch nicht sein, das ist doch...

 

FH: ...was zum Beispiel?

 

CJ: Das fiel mir das erste Mal in einer Ausstellung auf, das ist aber schon ewig her, Fotografien von Sibylle Bergemann vom Aufbau des Marx-Engels-Denkmals. Besonders der am Seil schwebende Engels wirkt eher der Lächerlichkeit preisgegeben als verehrt. Die Fotografien wurden aber sehr gelobt, schließlich dokumentierte die Künstlerin Entstehung und Aufbau einer Plastik der Väter des Sozialismus. Auch in Beeskow gibt es solche Gratwanderungen.

 

FH: Wie viele Bilder und Grafiken sind dort in Beeskow?

 

CJ: Wie gesagt, etwa 23.000 Objekte, davon ca. 1600 Gemälde, der größte Teil Grafiken und auch Skulpturen und Kunsthandwerk.

 

FH: Und könnte man da nicht einfach mal hin und sagen, ich brauche noch eine schöne Plastik für meinen Garten, sich etwas aussuchen und 100 Euro in die Kaffeekasse tun?

 

CJ: Nein, das kann man leider nicht. Das ist alles Länderbesitz und wird in Beeskow lediglich verwaltet. Man kann aber Arbeiten leihen. Es gibt viele Sachen, die sind an Institutionen, Banken oder Ministerien verliehen, was eigentlich lustig ist, wenn man es recht bedenkt.

 

FH: Die hängen heute in Ministerien? Die heroischen Arbeiter und Bauern?

 

CJ: Nein, es gibt ja auch ganz viele Landschaften, ich würde sagen mindestens ein Drittel von diesem Malereibestand sind Landschaften. Die werden besonders gern genommen von Ämtern oder Banken. FH: Eigentlich ist doch dieses Lager prädestiniert dafür, auch Kirstens Arbeiten zu diesen Kunstwerken mit aufzunehmen. Oder? Die würden doch perfekt korrespondieren. Wie kann man sich das vorstellen? Ist das eine Art Fabrik? Eine Lagerhalle?

 

CJ: Nein das ist ein alter Speicher an der Spree, der mit Regalen und Klimaanlage versehen und für die Lagerung von Kunst umgebaut wurde. Ein anderes Gebäude mit mehr Platz wäre wichtig, denn im jetzigen Zustand wirken die Bilder und Skulpturen wie eingesperrt und abgestellt. Das ist so ein Gefühl, das sich nicht richtig beschreiben lässt, aber das beschreiben auch andere Besucher. Wir hatten letzten Sommer eine Tagung in Beeskow, und dann sah man an den Reaktionen die Bedrückung gespiegelt, die die Situation ausstrahlt.

 

FH: Das hat es ja eigentlich gemein mit jedem Lager, das hauptsächlich dem Lagern dient, dass da alles eher nach zweckmäßigen Gesichtspunkten in Regalen steht und nicht präsentiert wird.

 

CJ: Vielleicht, aber in Beeskow weiß man, dass es der offizielle Rest von etwas, in dem Fall der Rest der „offiziellen“ Kunst der DDR ist, einem Staat, der 40 Jahre existierte und den es erst seit knapp 20 Jahren nicht mehr gibt.

 

FH: Na ja. Was ist denn absehbar, was in der Zukunft aus diesem Lagerbestand werden wird? Wenn man mal spekuliert, was ist damit in 100 Jahren? Werden da immer noch in Beeskow oder an einem anderen Ort dieselben Bilder, Grafiken und Statuen als einheitliche Sammlung der Kunst der DDR bestehen?

 

CJ: Das ist eine interessante Frage. Es sollte eigentlich einen Neubau geben mit einem Schauraum und Büroräumen und einem größeren Depot. Es gab einen Wettbewerb. Das Land Brandenburg hatte zugesagt, dass es Mittel bereitstellen würde. Als dieser Wettbewerb dann gelaufen war, entschied sich das Land doch gegen eine Finanzierung. Ich kann nicht beurteilen, welche politischen Verwicklungen es da eventuell gab, derzeit sieht es jedenfalls schlecht aus für einen Neubau. Die Hoffnung war unter anderem, mit dem Neubau besser werben zu können, weitere Gelder vor allem für Mitarbeiter zu bekommen. Jetzt muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, was in 100 Jahren sein wird.

 

FH: O.K. Zukunft unsicher. Aber immerhin, aus Sicht der DDR sind wir ja schon in der Zukunft. Gibt es für den gewaltigen Bestand Gemeinsamkeiten? Könnte man sagen, diese Kunst insgesamt unterscheidet sich von der westdeutschen sehr deutlich in dieser oder jener Richtung?

 

CJ: Ja. Die Themen waren sehr auf die Arbeit bezogen und die Figuration bevorzugt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir in Beeskow überhaupt ein nicht-figuratives Werk haben.

 

FH: Landschaftsbilder könnten ja fast abstrakt sein. Aber es ist alles gegenständlich?

 

CJ: Na ja, manches geht in Richtung Abstraktion, aber das meiste ist gegenständlich.

 

FH: Das ist ein deutlicher Unterschied.

 

CJ: Der Mensch, der „neue sozialistische“ Mensch war wichtig und der Alltag. Und dann haben Mythen eine große Rolle gespielt. Darüber konnte man unter Umständen ein bisschen Kritik an den politischen Verhältnissen üben. Auf der anderen Seite ist das ganz interessant, weil es...

 

FH: ...Mythen welcher Art? Siegfried oder...

 

CJ: ...nein nein, Ikarus war sehr beliebt, das fing schon in den 60ern an, dann in den 80ern natürlich durch Christa Wolf Kassandra, das wurde gerade in der Grafik viel bearbeitet. Es ist immer ganz schön, wenn man die Interpretationen der jeweiligen Zeit aus der DDR ansieht-ich hab heute noch eine gelesen-die das dann gern zur allgemeinen, nicht die DDR betreffenden Aussage interpretieren. Zum Beispiel: Die Künstler hatten das ja in sich, zu merken, dass irgend etwas ist, so haben sie ja auch zum Beispiel den II. Weltkrieg vorausgesehen und niemand hat ihnen geglaubt, dafür stehe die Kassandra-Figur. Dass die Kassandra aber vielleicht auch etwas innerhalb der DDR ansprechen könnte, das tauchte in dieser konkreten Besprechung nicht auf, und die war auch schon von 1983.

 

FH: Ja, stimmt, ich erinnere mich auch, dass Ikarus oft vorkam, wobei ich dachte, das wäre so 'ne allgemeingültige, auch im Westen präsente Legende. Aber Du würdest sagen, dort findet man ihn eher nicht?

 

CJ: Das weiß ich ehrlich gesagt gerade nicht. Aber der Künstler war ja seit der „Autonomie der Kunst“ nicht mehr „gezwungen“, sich religiöser oder mythologischer Themen anzunehmen, seit Mitte des 19. Jahrhunderts widmeten sie sich verstärkt alltäglichen Themen, auch Arbeitsdarstellungen. Nach 1945 ging es in Deutschland vor allem darum, sich auch in der Kunst vom Nationalsozialismus zu befreien. Anknüpfen an die Zeit vor 1933 oder etwas völlig Neues schaffen, im Westen beantworteten viele die Frage mit der Abstraktion.

 

FH: Gibt es überhaupt einen ähnlichen Bestand in einer Sammlung oder ein Depot im Westen, dass man überhaupt diese Kunst miteinander vergleichen kann? Weil im Westen gab es ja keine Staatspartei, die der Auftraggeber war oder so.

 

CJ: Also was immer mal wieder im Gespräch ist, ist die Artothek in Berlin, die Soziale Künstlerförderung. Die haben auch einen großen Bestand von Künstlern, die wegen ihrer sozialen Bedürftigkeit mit Werkverträgen gefördert wurden. 2003 wurde die Förderung eingestellt und auch dort wird überlegt, wie mit dem bestand umzugehen ist. Ob der sich vergleichen ließe, das kann ich nicht beurteilen, ich denke eher nicht.

 

FH: Ist das im großen und ganzen Kunst, die nicht so teuer gehandelt wurde? Also es gab ja berühmte DDR-Künstler, die glaube auch international verkauft haben. Du kennst sie bestimmt besser, also Willi Sitte oder Tübke oder so. Sind die auch dabei oder ist es eher eine Sammlung von weniger Bekannten?

 

CJ: Die sind auch dabei, wobei dieser Bestand zum Teil ja Anfang der 90er von der Treuhand eingesammelt und verwaltet wurde. Er ist dann nach dem Fundortprinzip an die einzelnen Länder zurückgegangen, und da Mattheuer, Heisig und Tübke aus Leipzig waren, befinden sich deren Werke vorrangig in Sachsen oder auch in den Beständen unterschiedlicher Museen, welche die großen Namen damals eingekauft haben. Wir haben aber auch Sitte-Gemälde und Grafiken von Tübke und Mattheuer. Auch ein Neo Rauch von 1984 findet sich im Kunstarchiv Beeskow.

 

FH: Da würde man doch heute vermute ich ein hübsches Sümmchen für bekommen, oder?

 

CJ: Würde man nicht, denn Herr Rauch oder Herr Lybke oder beide lassen meines Wissens nach kein Werk auf dem Markt gelten, das vor 1993 entstanden ist.

 

FH: Inwiefern nicht gelten?

 

CJ: Der Kunstmarkt hat ja seine eigenen Gesetze. Nehmen wir an, Du willst einen Neo Rauch verkaufen, dann fragst Du vermutlich beim Künstler oder seinem Galeristen eine Bewertung der Arbeit an. Die Antwort ist dann eben, wenn vor 1993 entstanden gehört er nicht zu meinen wichtigen Arbeiten und ist folglich nichts wert. Dann wird das Bild gleich nicht mehr so hoch gehandelt und Du müsstest jemanden finden, der einfach aus Leidenschaft denkt, das will ich unbedingt haben, aber rein kunstmarktgesetzlich würde das so nicht funktionieren. Ich glaube, so ähnlich funktioniert es wohl.

 

FH: Na gut, dann leider nicht.

 

CJ: Möchtest Du was kaufen oder möchtest Du was verkaufen? Du bist so hinter dieser Frage her?

 

FH: Och, am liebsten beides! Wie bist Du auf Kirsten gestoßen? Du hast da gesessen in deinem Büro und da klingelte das Telefon oder wie war das?

 

CJ: Nein, Kirsten stand da bei der Eröffnung bei Klaus Staeck in der Galerie Rainer Klimczak und trug so eine schöne Kette wie auch heute wieder – ich glaube, wir sind sogar über diese Kette ins Gespräch gekommen. Jedenfalls fragte ich sie, was sie denn so machte und als sie ihren Namen verriet dachte ich: Moment, haste schon mal gehört, sie ist doch hier beim Rainer vertreten.

 

FH: Und dann seid ihr auch schnell auf diese DDR-Kunst zu sprechen gekommen? Oder spielte das da noch gar keine Rolle?

 

CJ: Ja, die Kirsten hat gesagt: Super, DDR-Kunst, das ist mein absolutes Steckenpferd, ich muss da sofort hin!- Nein, wir haben da gar nicht drüber gesprochen. Wir haben auch gar nicht über Kunst geredet, glaub ich. (Kirsten: Nein)

 

FH: Nur über Ketten?

 

KK: Na über so Frauensachen wahrscheinlich.

 

CJ: Na und dann weiß ich gar nicht, haben wir dann erst Deine Ausstellung in Viersen gemacht?

 

KK: Ich hab dich in Beeskow besucht weil ich wissen wollte, wie so´n Archiv aussieht. Ich hab noch nie ein Archiv gesehen.

 

FH: Na hier, das ist auch ein Archiv. (wir sitzen bei Falko)

 

KK: Na eher ein Gerümpelhaufen.

 

FH: Gerümpelhaufen, also...

 

KK: Der bewohnt ist.

 

FH: Du könntest jeden fragen, ein Gerümpelhaufen sieht eindeutig anders aus! Aber nun gut, zu Beeskow.

 

CJ: Kirsten kam dann nach Beeskow und dann sind wir in den Speicher gegangen. Da sagte sie immer „Oh! Ah!“ Und dann gingen wir in die Kammer, die eigentlich zur Burg Beeskow gehört, da sind unter anderem so alte Schinken drin.

 

FH: Ach so, so Ritter Kunibert.

 

KK: Oder so Frollein mit Spitzenhäubchen.

 

FH: Also so richtig Gemälde von 1500nochwas?

 

CJ: Also eher 1800nochwas. Und die eine Dame mit Spitzenhaube, die hatte so einen Riß im Gesicht.

 

KK: Also da war die Leinwand kaputt und davon hab ich ein Foto gemacht und das hab ich dann nachgemalt, das fand ich so schön.

 

FH: Erinnerst Du Dich, als sie dieses Foto gemacht und das Bild gemalt hat?

 

CJ: Sie hat mir dann ein Foto geschickt von dem Bild das sie gemalt hat und ich musste sofort sehr lachen, denn da wo vorher das Loch war, hat Kirsten ein Stück Kreppband aufgeklebt. Das war ganz wunderbar. Und sie fragte: Guck mal, da muss man doch irgendwas mit machen können, oder?

 

KK: Dann kam eben diese Idee, kann man nicht aus den Bildern die da sind sozusagen Anregungen finden, eigene Arbeit finden.

 

FH: Würdest Du das empfehlen, für zeitgenössische Künstler, nach Beeskow zu pilgern um Inspiration von den Gemälden dort zu bekommen?

 

CJ: Nein!

 

FH: War es ein Fehler von Kirsten?

 

CJ: Ich würde schon grundsätzlich keinem Künstler irgendwas in dieser Richtung empfehlen, also manchmal macht man's doch, aber ungern, ich finde es ist nicht meine Aufgabe einem Künstler zu sagen, wo er sich seine Inspiration holen soll.

 

KK: Inspiration liegt auf der Straße.

 

CJ: Genau. Klaus hat das doch schon schön mit dem Pilzesammeln erklärt.

 

KK: Ja, der Beuys hat ja gesagt, die Mysterien finden am Hauptbahnhof statt. Oder man könnte ja auch sagen, Inspiration gibt’s im Mülleimer, egal wo, völlig egal.

 

CJ: Das war ja alles ein Zufallsprodukt. F

 

H: Ja, aber man muss sagen, ohne Dich, Deine Tätigkeit und Deine kommunikativen Fähigkeiten wäre es nicht zu dieser Werkserie von Kirsten Klöckner gekommen?

 

CJ: Also sie wäre wahrscheinlich nicht von sich aus nach Beeskow gefahren, denn ich glaube ihr war gar nicht klar, dass Beeskow existiert.

 

KK: Nö.

 

CJ: Wie so viele Leute nicht wissen, dass das Kunstarchiv Beeskow existiert.

 

KK: Und dann kam natürlich dazu dieses Angebot, die Ausstellung im Museum Eisenhüttenstadt zu machen. Das hat das Ganze quasi von einem lockeren Gedanken zu einem Plan gemacht. Das hat sich entwickelt, so würde ich das sehen. Das hat sich irgendwie so zusammengesetzt aus verschiedenen Anstößen heraus.

 

FH: Vielleicht können wir wenn ich' s finde gleich mal hören „Ich will zurück nach Eisenhüttenstadt“, das kann ich Euch vorspielen.

 

KK: Ist das ´n Lied?

 

FH: Das ist ein Lied von Ivo Lotion, das ist ganz hübsch.

 

CJ: Klingt schön.

 

FH: singt: Ich will zurück nach Eisenhüttenstadt, hmhmhm

 

KK: Ich glaub, die Versorgungslage war so' n bisschen suboptimal da.

 

FH: Ja, da gibt' s eben nicht diese feinen Ciabatta-Brötchen (FH: betont Tschiabatta), die Du gewöhnt bist.

 

KK: Da gab' s nicht mal Wurst das letzte Mal am Bahnhof!

 

CJ: Als ich das erste Mal in Beeskow war, war ich sechs Wochen am Stück dort und bekam irgendwann total Lust auf asiatisches Essen, am liebsten Sushi, da war ich dann vor eine Herausforderung gestellt.

 

FH: Wie, da haste dann einfach in Beeskow jemanden nach Sushi gefragt?

 

CJ: Nein, manchmal gibt' s das ja in Supermärkten im Kühlfach.

 

KK: Tiefgefroren.

 

CJ: Ja, das war dann leider letztlich das, worauf ich zurückgreifen musste, das war eklig.

 

FH: Ja das klingt so´n bisschen wie, da kommen also die Menschen aus Dortmund oder so, aus dem Westen, nehmen unseren SED-Rentnern die Jobs bei der Museumsverwaltung weg und meckern, dass es kein Sushi gibt.

 

CJ: Ja.

 

KK: Und dann kommen noch die Westkünstler und malen die Bilder ab und nicht mal gut!

 

FH und CJ: Genau!

 

FH: Die nehmen, was sie so wollen. Aber tatsächlich bist du da so auf Ost-West-Vorurteile gestoßen? Ich meine, das ist ja wie wir hören eine durchaus berechtigte Angst, dass die Versorgung anders ist als in einer entsprechenden Kleinstadt in Westdeutschland, oder?

 

CJ: Na wie ich schon sagte, ich komme aus einem 400 Einwohner Dorf in Westdeutschland

 

FH: Da gibt' s Sushi.

 

CJ: Nein, eben nicht. Aber ich kann von da aus in 15 Minuten mit dem Auto irgendwo sein, wo ich das bekomme. In Brandenburg war ich dann doch überrascht, zumal ich in diesem Schneewinter Januar 2009 da ankam, und da hatte auch nix auf. Man lebt zwar gerade in Beeskow auch vom Tourismus, aber im Winter haben die meisten Restaurants geschlossen. Da eine, das geöffnet hatte, machte um 19 Uhr zu. Naja, und zu den Vorurteilen kann ich natürlich was erzählen, das können wir dann aber sowieso nicht veröffentlichen, weil die Kollegen das vielleicht übelnähmen.

 

FH: Ach, das ist natürlich schade, immer das Schönste kann man nicht nehmen.

 

CJ: Also zumindest kann ich sagen dass ich das Gefühl hatte, sehr lange zu brauchen, um das Misstrauen zu überwinden.

 

FH: Vielleicht dachtest Du selbst im Stillen, dass alle bei der Stasi waren?

 

CJ: Nein, das hab ich nie gedacht. Ich war vor allen Dingen, als ich da ankam froh, dass ich was Sinnvolles für meine Doktorarbeit tun konnte. Als mir dann noch ein Job in Aussicht gestellt wurde war ich noch froher, weil ich nämlich zu dem Zeitpunkt keinen hatte. Also war ich vor allen Dingen dankbar und dadurch hatten sie sowieso bei mir gewonnen. Ich fand alle sehr nett. Ich fand auch die Brandenburger sehr nett, aber wenn ich das den Brandenburgern sage, gucken die mich verständnislos an und sagen: Uns sagt man aber nicht nach, dass wir nett sind!

 

FH: Also das hab ich auch noch nie gehört, also nett hör ich jetzt zum ersten Mal. Dick hör ich oft. Aber na gut.

 

KK: Der Brandenburger ist dick und ernährt sich von Wurst.

 

CJ: Das liegt daran, weil' s dort kein Sushi gibt.

 

FH: Er berlinert stärker als der Berliner.

 

KK: Ja, meine Frau Nachbarin sagt ja auch, das Berlinern haben ja die Brandenburger Putzfrauen eingeführt in Berlin. Die Berliner sprechen so nicht.

 

FH: Ja, ich überleg gerade, ob noch ein wichtiger Punkt thematisiert werden müsste. Also, wir haben das ja noch nicht weitergeführt. Nehmen wir an, Kirsten möchte, dass ihre Arbeiten mit im Archiv verwaltet würden, wäre das möglich?

 

CJ: Nein, denn es handelt sich in Beeskow ja um DDR Kunst und da die Kirsten ja nun aus dem Westen ist geht das nicht. Und Kirstens Bilder kann man ja auch kaufen, ein weiterer Unterschied, um mal wieder darauf zurückzukommen. Farbe ist auch so ein Thema.

 

FH: Farbe ist auch so ein Thema? Sind die Bilder von Kirsten bunter?

 

CJ: Bunt klingt meist so negativ. Aber ja, sie strahlen eine wunderbare Farbkraft aus. Was auffällt an diesem Bestand ist der doch eher vorherrschende, zurückhaltende Farbton. Wie unsere Restauratorin sagt liegt das teilweise auch einfach an den Farben, die man so zur Verfügung hatte, aber man fragt sich häufig: ist das verblasst oder war das immer schon so? Es ist vielleicht nicht immer die Absicht des Künstlers gewesen aber der Bestand im Ganzen strahlt so eine gewisse Tristesse aus.

 

FH: Ja, ist schwer zu beantworten. Die jungen Leute glauben inzwischen, hab ich gelesen, dass in der DDR alles schwarz/weiß gewesen wäre weil die Fotos ja auch alle schwarz/weiß sind aus der Zeit.

 

CJ: Du hast den Farbfilm vergessen...

 

KK: Es ist klar, dass Nina Hagen aus der DDR kam.

 

FH: Ja, aber ich würde Nina Hagen nicht unter DDR-Kunst abheften wollen. Da kommen zu viele fernöstliche Religionen vor.

 

KK: Ja, aber diese Sehnsucht nach irgendwelchem Fernen, möglichst Abseitigem, ich meine, nirgendwo sonst wird das doch so kultiviert wie in der Abgeschlossenheit.

 

FH: Ja, mag sein. Ich weiß nicht, fällt Dir zum Themenkomplex Kirsten/DDR-Kunst noch irgendwas ein, was unbedingt gesagt werden muss? Sonst würd' ich mich bedanken für die ausführlichen Informationen. C

 

J: Das eigentlich Wesentliche ist Kirstens künstlerischer, unbefangener Umgang damit. Du hast immer so gefragt, warum das da lagert und was damit passiert. Und Kirsten gibt darauf eine von mehreren möglichen Antworten. Auch wenn das vielleicht nicht ihre ureigene Absicht ist, geht sie ja eigentlich so damit um, dass von dieser Kunst etwas übrig bleibt und weiter transportiert wird, in welcher Form auch immer. Das – finde ich – ist doch eigentlich der sinnvollste Umgang mit den Sachen: nicht immer nur rückwärts betrachten und forschen, sondern nach vorn weiterdenken. Ich will einfach nur sagen, Kirsten geht weiter mit den Werken, sie bleibt nicht dahinter zurück, sondern macht ihr eigenes Bild daraus.


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