· 

BeuteKunst I - Urszula Usakowska-Wolff informiert! 2012-08-23 – 18:57:01

Dinge leben länger

In der Galerie des Städtischen Museums Eisenhüttenstadt-Fürstenberg zeigt die in Berlin lebende Malerin und Objektkünstlerin Kirsten Klöckner großformatige Aquarelle aus der Werkserie „BeuteKunst“ und Fotos, die ihren Entstehungsprozess begleiten.

„BeuteKunst“ – schon der Titel macht neugierig. Geht es etwa um eine Schau der geraubten und lange im Verborgenen verbliebenen Kulturgüter, die in die Hände der Künstlerin gelangten? Nein, „BeuteKunst“ ist das Ergebnis von Kirsten Klöckners Beschäftigung mit der DDR-Malerei, die sie vor einem Jahr im Kunstarchiv Beeskow entdeckte. In der mittelalterlichen Burg dieser 80 Kilometer von Berlin entfernten brandenburgischen Kleinstadt sind 23.000 Objekte: Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Skulpturen, Kunsthandwerk und Medaillen versammelt, die vor 1989 der SED und den Blockparteien, den Massenorganisationen und der Regierung „des ersten Arbeiter-und Bauernstaates auf deutschem Boden“ gehörten. Es sind zum größten Teil Auftragsarbeiten, Ankäufe und Schenkungen, die öffentliche Gebäude schmückten.

Nach dem Ende der DDR wurde ihre offizielle Kunst als „Sondervermögen“ von derTreuhand verwaltet und 1994 an die Bundesländer, in denen sie gefunden wurde, übergeben.

 

Eine Begegnung mit Folgen

Auf den Geschmack der DDR-Kunst ist die 1962 in Braunschweig geborene

Wahlberlinerin Kirsten Klöckner auf Umwegen gekommen. Anfang des vorigen Jahres

lernte sie bei der Eröffnung ihrer Ausstellung „Da kommt noch was“ in der

Galerie Rainer Klimczak in Viersen am Niederrhein Claudia Jansen kennen. Die

Düsseldorfer Kunsthistorikerin und freie Kuratorin erzählte ihr, dass sie auf

der Suche nach dem Material für ihre Dissertation über „Das Arbeiterbild in der

Malerei der DDR“ Kontakt mit dem Kunstarchiv Beeskow aufgenommen und dort auch

prompt eine Stelle bekommen hatte. „Ich besuchte also Claudia in Beeskow, weil

ich wissen wollte, wie ein Archiv aussieht. Ich war vorher noch nie in einem

Archiv“, sagt Kirsten. Sie ließ sich viele Bilder zeigen und hatte das Gefühl,

dass daraus mehr werden könnte als ein Trip in eine unbekannte Welt: „Ich hatte

wenig Ahnung von der DDR-Kunst. Mich interessierte nicht, ob die in Beeskow

aufbewahrten Bilder gut oder schlecht sind, sondern ob ich darin Anregungen für

meine eigene Arbeit finde. Das war am Anfang eine vage Idee, aus der nach und

nach die ‚BeuteKunst’ entstand. Für mich war das ein Experiment mit offenem

Ausgang, denn früher habe ich meine Bilder ohne Plan gemalt.“ Die Arbeit an der

„Beutekunst“ zeigte Kirsten eine andere Herangehensweise: Sie spürte, dass die

Bilder „existieren“ und sie darauf reagieren muss, unabhängig davon, ob sie ihr

gefallen oder nicht. Sie holte sich aus jedem Bild ein Detail, machte einen

Ausschnitt, den sie am PC bearbeitete. Dreidimensionale Elemente wie

Milchverpackungen und Kisten baute sie aus Karton nach. Und sie war überrascht,

dass die Bilder Geschichten erzählten, die mit ihren „inneren Geschichten“

korrespondierten, Assoziationen und Erinnerungen weckten.

 

Ungewöhnliche Details

Kirsten Klöckners „BeuteKunst“-Experiment dauerte ein Jahr und seine Ergebnisse, die „Beutestücke“, können jetzt in der der Galerie des Städtischen Museums Eisenhüttenstadt-Fürstenberg besichtigt werden. Es sind 14 Aquarelle auf Leinwand, lackiert, jede 1 m x 1 m groß, angeregt durch Bilder von dreizehn DDR-Künstlerinnen und Künstler (Barbara Müller, Walter Womacka, Horst Bahr, Jost A. Braun, Rudolf Nehmer, Bruno Bernitz, Neo Rauch, Frank Dierchen, Vera Singer, Bernd Günther, Siegfried Korth, Arno Mohr und Max Uhlig), aber auch von Pablo Picasso und … der Schachtel der filterlosen Zigarette „Karo“, einer DDR-Marke, die Joseph Beuys gern rauchte. „Manche Bilder habe ich im Original in Beeskow gesehen, andere fand ich auf einer CD mit 1.000 Bildern aus dem

Archiv“, sagt Kirsten. Der Entstehungsprozess der „BeuteKunst“, den sie auf 80 Fotos dokumentierte, war mit sehr viel Arbeit verbunden. Sie hatte die Qual der Wahl, aus der kaum vorstellbaren Masse der Bilder solche auszusondern, die durch ungewöhnliche Details, wie zum Beispiel eine bunte Tasse auf dem recht tristen Porträt der Bestarbeiterin Ramona Galius, ihre Aufmerksamkeit fesselten. „Mit den Bildern ist es wie mit der Liebe“, schmunzelt Kirsten. „Bei dem einen Bild ist es Liebe auf den ersten, bei dem anderen auf den zweiten, dritten, vierten Blick. Manchmal war ich aber verzweifelt und wollte aufgeben,

weil ich trotz intensiver Beschäftigung mit dem ausgewählten Werk keinen Ansatz

finden konnte, etwas Eigenes zu malen. Doch was man angefangen hat, das muss man zu Ende bringen.“ Eine zusätzliche Motivation, an der „BeuteKunst“ zu bleiben, war die vor langer Hand geplante Einzelausstellung Kirsten Klöckners in Eisenhüttenstadt. „Die erste sozialistische Wohnstadt“ in der DDR, Anfang der 1950ern bei Fürstenberg an der Oder aus dem Boden gestampft – als Ausstellungsort von Bildern einer Künstlerin aus dem Westen, die sich Anfang der 2010ern von der DDR-Kunst inspirieren ließ, das passte doch zusammen!

 

Geometrie des Alltäglichen

Kunst kommt vom Können. Kunst kommt auch von Kunst. In der neueren Kunstgeschichte ist das gang und gäbe. 1919 verpasste Marcel Duchamp einem Druck von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ einen Schnauz- und Spitzbart. Nach dem Zweiten Weltkrieg interpretierte Picasso die Gemälde alter Meister (El Greco, Delacroix und Velasquez) auf seine Art. Der zeitgenössische US-amerikanische Maler und Bildhauer George Condo setzt wiederum Picassos Motive spielerisch um. Das sind nur einige wenige Beispiele der so genannten Appropriation Art, zu der auch Kirsten Klöckners „BeuteKunst“ zählt. Das Besondere daran ist, dass sie aus dem Fundus einer Kunst schöpft, die, als heikle Hinterlassenschaft der DDR, weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit gelagert wird, weil sie, verdient oder unverdient, einen schlechten Ruf hat. Aus den Bildern, die die

Arbeiterklasse heroisieren oder den Alltag idealisieren sollten, doch in Wirklichkeit durch eine fast schon subversive Tristesse bestechen, pickte sich Kirsten Details heraus, die der Betrachter wahrscheinlich übersehen hätte: einen Helm, eine weiß-rote Straßenabsperrung, eine Leiter, ein Kabelgewirr, Lampions eines Gartenfestes, Kirschen, die auf einem Verandatisch liegen, unordentlich gestapelte Kisten und so weiter. Auffallend ist, dass die Künstlerin ihren Blick nicht auf Menschen, sondern auf Gegenstände richtet, als ob sie sagen wollte: „Guckt genau hin, die banalen und deshalb unbeachteten Dinge leben

länger als politische Systeme und Menschen“. Zugleich wirken die abstrahierten

Gegenstände, die sich zu zellenartigen Ornamenten zusammenfügen, wie eine traumhafte Geometrie des Alltäglichen, in der die Grenzen zwischen Harmonie und Chaos verschwinden.

 

Blog und Buch zur Kunst

Für Kirsten Klöckner war die „BeuteKunst“ ein multimedialer und interdisziplinärer Prozess, an dem sich Freunde, Bekannte und auch Unbekannte beteiligen konnten. Um die Arbeit an der „BeuteKunst“ zu dokumentieren, begann sie im Juli 2011 zu bloggen. Über den Stand der Dinge informierte sie auch regelmäßig auf ihrer Facebook-Seite. So trugen ihre Kunst zur Kommunikation und die moderne Kommunikation zu ihrer Kunst bei. Sie fotografierte jeden Schritt, der sie dem Endergebnis näher brachte, denn, wie sie betont: „Es war mir

wichtig, den Leuten nicht nur die fertigen Bilder zu zeigen. Ich wollte sie vor allem darauf aufmerksam machen, dass die Kunst wie jede andere Arbeit recht anstrengend ist, doch auch Freude bereitet.“ Die von Claudia Jansen kuratierte Ausstellung „BeuteKunst I“ lässt sich auch deshalb sehen, weil das Publikum hinter die Kulissen des künstlerischen Prozesses blicken und beobachten kann, wie sich Ideen und Pixel in reelle Kunstwerke verwandeln und wie aus angeeigneten Details ein eigenes Ganzes entsteht. Die „BeuteKunst I“ und das Buch dazu, sozusagen ein Blog auf Papier, sind das vorläufige Finale eines erfolgreichen Experiments. Die Eins deutet darauf hin, dass Kirsten Klöckner

einen neuen „Beutezug“ plant.

Urszula Usakowska-Wolff


Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Edition Klöckner

Kirsten Klöckner

Claudiusstr. 7

10557 Berlin

0170 7760835

 

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.